Griese Gegend oder Grise
Gegend?
In vielen Abhandlungen älterer
Literatur wird die Gegend als Grise Gegend
bezeichnet. Es folgt eine Abhandlung von H.H. Klatt,
die erklärt warum dies so ist:
Zum Namen Grise
Gegend (heute: Griese Gegend)
Schon einmal – im Heft 4,
Jahrgang 1957 – wurde in diesen Blättern dem Landschaftsnamen Grise Gegend eine Untersuchung gewidmet: K.H. Busse „Was
der Griesen Gegend den Namen gab“. Der Verfasser bekannte sich darin – gestützt
auf K. von Bülows „Abriß der Geologie von Mecklenburg“
(1952) zu der auch von anderen Geologen früher vertretenen Ansicht, der Name Grise Gegend sei dem Landstrich zwischen Sude und Elde, der so bezeichnet wird, wegen der grauen (grisen) Farbe der oberen Bodenschicht gegeben worden. So
schrieb z.B. Eugen Geinitz in seiner „Geologie von
Mecklenburg“ (1922): „Der weit verbreitete Heidesand ist oberflächlich durch
die Beimischungen grau gefärbt, daher die Bezeichnung ‚grise
Gegend’.“. Die Quelle dieses Wissens gab Geinitz
nicht an.
Will man sich etwas eingehender
mit dem Namen Grise Gegend beschäftigen, so erscheint
es zunächst unumgänglich festzustellen, wann er entstanden ist oder – da das
sehr schwer, wenn nicht unmöglich ist – zumindest, wann er zuerst in der
Literatur auftaucht. Hierfür hätte es einer Durchsicht der gesamten
landeskundlichen Literatur über Mecklenburg bedurft. Wegen der Vielzahl der
diesbezüglichen Werke beschränke ich mich auf einige besonders einschlägige.
Deshalb muss im Folgenden auch die Frage nach der ersten Nennung in der Literatur
offen bleiben.
Bemerkenswert ist jedoch,
dass Geinitz in seiner 1885 erschienenen Arbeit „Der
Boden Mecklenburg“ (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, Bd. 1)
den Namen Grise Gegend nicht anführt. Er spricht
darin von der „Heideebene“, namentlich zwischen Hagenow und Ludwigslust: „Der
Boden ist der feine, gelbliche oder weiße, mahlende Sand…“. Man beachte die
Farbbezeichnungen. Ebenso kommt der Name in zwei späteren Arbeiten von Geinitz nicht vor: „Die mecklenburgischen Höhenrücken“
(1886, mit einem Abschnitt über „Die südwestliche Heide“), „Geologischer Führer
durch Mecklenburg“ (1899). Desgleichen wird der Name in zwei Untersuchungen
speziell über die Geologie Südwestmecklenburgs nicht erwähnt: F.E. Koch „Das
südwestliche Mecklenburg. Ein Beitrag zur Charakteristik der Haide-Ebene, mit specieller
Rücksicht auf die Bodenerzeugnisse und das industrielle Leben derselben“
(Archiv für Landeskunde in den Großherzogtümern Mecklenburg 5 [1885]), Paul Sabban (aus Ludwigslust) „Die Dünen der südwestlichen Heide
Mecklenburgs und über die mineralogische Zusammensetzung diluvialer und
alluvialer Sande“, Dissertation, Rostock 1897.
Mit einiger Sicherheit – wie
ich meine – ist hieraus zu schließen, dass der Name Grise
Gegend zu dieser Zeit nicht in Verbindung gebracht wurde mit der grisen Farbe des Bodens. Besonders der Ludwigsluster Sabban hätte den Namen wohl erwähnt, wäre er ihm in dieser
Bedeutung bekannt gewesen, zumal er an einer Stelle darauf hinweist, dass man
„in den Thalniederungen…im wesentlichen den
grauen…Heidesand“ findet und auch sonst zahlreiche Flurnamen anführt.
Im Jahre 1914 veröffentlichte
dann J. Becker eine Bröschüre „Aus de ‚grise Gegend’ von Mecklenburg-Schwerin“, einen Bericht über
Düngungsversuche, die er auf den Feldmarken Boek und Groß
Laasch durchgeführt hatte. Auch Becker bezog den
Namen nicht auf die grise Farbe des Bodens. Das
konnte er auch nicht; denn er fand, das „Sandfeld“ sei „meistens durch
Heidehumus schwärzlich“(!) gefärbt.
Weitere Zitate ähnlicher Art
aus den hier genannten und anderen Werken, die nicht auf einen Nenner zu
bringen sind, wollen wir uns ersparen. Sie ließen sich beliebig vermehren. Will
man ganz gerecht sein, so kann man vermuten (klar ausgedrückt wird es nirgends)
dass, wenn von der grauen Farbe des Bodens in den hier erwähnten Arbeiten die
Rede ist, im allgemeinen wohl die Äcker, wenn dagegen von der gelblichen oder
weißlichen Farbe gesprochen wird, unkultivierte Landstriche, Wege usw. gemeint
sind. Becker meint mit seinem „schwärzlichen Sandfeld“ allerdings eindeutig den
Acker. So kann man mit einigem Recht annehmen, dass die Behauptung, der Name Grise Gegend rühre von der grisen
Farbe des Bodens her, nur auf „mahlendem Sandboden“ steht, infolgedessen
anzuzweifeln ist.
Versucht man nun, den Namen Grise Gegend vom sprachlichen her näher zukommen, so fällt
zunächst – ganz naiv gesehen – die verschiedene Schreibung auf. Ich fand in der
Literatur bisher folgende Schreibungen: gris(e)
Gegend, gries(e) Gegend, grieße
(!) Gegend, gr. Jeigend. In allen Fällen handelte es
sich eindeutig um ein Adjektiv und ein Substantiv. Damit ist schon alles klar:
So passgerecht und das ß in
Grieße Gegend (ich fand übrigens diese Schreibung nur einmal an unbedeutsamer
Stelle) ist, so wenig ist an Grieß „Sand, Kies, Sandfläche“ zu denken; das
entsprechende und hier zu erwartende Adjektiv müsste grieß(e)lich oder grießig heißen, welches in der Bedeutung sandig
zudem vorwiegend in oberdeutschen Mundarten vorkommt. Mir sind niederdeutsche
Mundarten jedenfalls nicht bekannt. [J. u. W. Grimm führen in ihrem „Deutschen
Wörterbuch“ an: gegend der leichten, sandigen bodenarten, sandige äcker.] Zu
denken, ursprünglich habe der Name Grise Gegend etwa
Grieß-Gegend, also Sand-Gegend gelautet, wäre bei der Dürftigkeit des
vorliegenden Materials reine Spekulation. Das „Mecklenburgische Wörterbuch“
führt Grieß = Sand nicht an; desgleichen bringen die niederdeutschen
Wörterbücher des 18. Jahrhunderts (Dänert; „Versuch
eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs“) und des 19. Jahrhunderts
(Danneil) keine Belege für das Wort, das im Mittelniederdeutschen noch
vorkommt. Man müsste also sehr frühe Entstehung des Namens annehmen oder
Bildung durch Fremde. Beides ist aus vielen Gründen unwahrscheinlich. Bemerkt
werden muss, dass Grieß = Sand früher auch Gries geschrieben wurde, erklärlich
durch das Schwanken der ß-Schreibung. Die oben angeführten Belege stammen alle
aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Wenn wir darunter auch die
Schreibung Gries Gegend (ohne den zu erwartenden Apostroph) finden, liegt hier
dennoch eindeutig ‚grau’ vor. Die
Schreibung Griese Gegend ist überhaupt nicht korrekt; ursprünglich ist der Monophtong, das e ist nur Dehnungs-e.
Am Rande sei bemerkt, das gris = gries,
grau und Grieß = Sand zwei verschiedene Stämme haben, also auch zwei
verschiedene Wörter sind. Will man nicht in haltlose Spekulationen verfallen,
so kann man aus dem vorliegenden Material nur entnehmen, dass Grise Gegend eindeutig Graue Gegend bedeutet. Daran werden
wir auch nicht irre, wenn wir bei Rehm (s.u.) lesen: „…gries’Gegend…bedüdt soväl as Sandgegend“.
(Gerade er bringt eine einleuchtendere Erklärung des Namens.)
Befassen wir uns nun mit der
landeskundlichen Literatur speziell über die Grise
Gegend, so stellen wir verwundert fest, dass bedeutende Kenner den Namen nicht
erklärten und sich auch nicht der oben erwähnten Deutung (Grise
Gegend von der grisen Farbe des Bodens) anschlossen:
J.U. Folkers „Das echteste Mecklenburg“, 1926; A.
Reuter „Griese Gegend“, 1926; J. Gillhoff „Land und
Leute der Griesen Gegend“, 1927; E. Schlüter „Das echteste Mecklenburg“, 1933
(alle in den Mecklenburger Monatsheften). Die Verfasser waren wohl alle sehr
vorsichtige Männer. Sie machten sich nämlich auch die Ansicht von Friedrich Rehm, die wir jetzt erläutern wollen, nicht zu eigen.
Friedrich Rehm
trat in zwei (plattdeutschen) Aufsätzen der Meinung entgegen, der Name Grise Gegend komme von der grisen
Farbe des Bodens her: „Gries’ Gegend“ (Uns’ plattdütsch
Heimat 1 [1925], „Die Griesen“ (Ostmecklenburgische Heimat 4, 2 [1931])). Die
Ausführungen in beiden Arbeiten stimmen diesbezüglich überein; ich zitiere aus
der zuerst genannten arbeit: „Ick glöw,
tau den Nam’ Gries’ Gegend hett
nich die Sand, ne, dor
heben woll Mannslüd un Schap Gevadder
stahn.“ Rehm führte aus:
Die Verhältnisse in der Grisen Gegend waren „bet vör
’n soebentig Johr“ – also
etwa bis 1860/70 – andere als heute (1925). Damals gab es hier keine großen
Höfe. Die wenige anfallende Arbeit war von den Männern bald getan. Deshalb
zogen aus den großen, völkerreichen Dörfern „ganze Kolonnen“ in die besseren
Gegenden Mecklenburgs, um auf den großen Bauernstellen und Gütern bei der
Ernte zu helfen und sich so einen
Nebenverdienst zu verschaffen. Diese Erntehelfer waren alle einheitlich
gekleidet; sie trugen graues (grises) Zeug, dessen
Herstellung und Art Rehm so beschrieb: „…tau dit Tüg för
dei Mannslüd würd flessen orre
heiden Goorn uptreckt un ungefarwte
gries’ Wull inslagen. Dat Tüg
heit Vier- orre Fiewkamm un wier
bannig tag…Vier- un Fiewkamm
leit sick…nich recht farwen.“ Durch diese Kleidung unterschieden sie sich von
den Bewohnern der Gegenden, in denen sie Arbeit suchten. So war z.B. die Biestower Tracht schwarz, woanders galt blaue Tracht. Kamen
die Bewohner der Grisen Gegend nach der Ernte in ihre
Heimatdörfer zurück, so sagten sie, sie wären bei den „Swarten“
oder den „Balgen“ gewesen. Sie dagegen wurden von diesen wegen ihrer
einheitlich grisen Arbeitskleidung die Grisen genannt. Da die Grisen
alle aus einer Gegend kamen, erhielt sie den Namen Grise
Gegend. Später, so führte Rehm weiter aus, wurde die grise Arbeitskleidung nicht mehr getragen. Außerdem wurden
die Arbeitsleute aus der Grisen Gegend durch
fremdländische Schnitter und Mähmaschinen verdrängt. Dadurch geriet die
Bezeichnung Grise Gegend in Vergessenheit; sie wurde
nun „up land un Sand“ bezogen.
Der hier wiedergegebenen
Ansicht von Rehm schloss sich teilweise – unter
Bezugnahme auf dessen Aufsatz in der „Ostmecklenburgischen Heimat“ – der
Bearbeiter des Artikels „gris“ im „Mecklenburgischen
Wörterbuch“ (21. Lfg. III,3) an: „die Grisen auch die Bewohner der Grisen
Gegend, Der Sandgegend in Lu, die graues, eigengemachtes
Zeug trugen, in der Ernte in anderen Teilen unseres Landes als Hilfsarbeiter
tätig waren und dort durch ihre Kleidung von der sonst üblichen Erntetracht
abstachen.“ Wenn wir nämlich recht lesen, so sehen wir zwar, dass die Grisen nach der grisen
Erntetracht so genannt wurden, nicht aber, dass nach den Grisen
die Grise Gegend ihren Namen bekam, obgleich Rehm in dem angezogenen Aufsatz ausdrücklich schrieb:“…un weil sei all ut deisülwig Gegend in ehr griese Kledagen keimen, mirden mang dei witbücksten Ohrnlüd, hett die Heimatgegend den’n Namen Gries Gegend krägen.“
So können wir dem „Mecklenburgischen Wörterbuch“ nicht eindeutig – glaube ich –
entnehmen, dass die Grise Gegend ihren Namen nach den
Grisen (den Trägern der grisen
Arbeitskleidung) erhielt.
Fassen wir kurz zusammen: Die
Herleitung des Namens Grise Gegend von der grisen Farbe des Bodens ist – soweit ich sehe – nicht
bewiesen; vieles spricht dagegen. Sprachliche Betrachtungen ergaben: Grise Gegend eindeutig = Graue Gegend. Herleitung aus Grieß
= Sand ist bei dem gegebenen sprachlichen Material (wegen der wohl jungen
Bildung des Namens) falsch. Die Erklärung von Rehm
dagegen ist wahrscheinlich richtig. Wir dürfen die vorsichtige Formulierung im
„Mecklenburgischen Wörterbuch“ allerdings nicht vergessen! Es ist jedoch
einleuchtend, dass die Bewohner unseres Landstriches wegen ihrer grisen Arbeitstracht in anderen teilen Mecklenburgs die Grisen genannt wurden und durchaus nicht unmöglich, dass
nach den Grisen die Gegend, aus der sie kamen, den
Namen Grise Gegend erhielt. Mindestens darf man
künftig, wenn man über den Landschaftsnamen Grise
Gegend spricht, nicht mehr an der Erklärung Rehms
vorbeigehen. Den Lesern von „Land und Leute“ diese Erklärung mitzuteilen, ist
der alleinige Zweck dieses Beitrags.
Hans Heinrich Klatt, 1959
(erschienen: „Land und Leute“, 1959, Heft 3)