Es folgt eine Abhandlung über Geburtstagsbräuche der Griesen Gegend. Diese Abhandlung hat Hans Heinrich Klatt(+) Ende der 1960iger Jahre aufgeschrieben. Der besseren Verständlichkeit halber habe ich den Text leicht gekürzt.

 

 

Gebuurtsdag wier’n Pannkaukendag

(Geburtstagsfeiern früher und heute in Südwestmecklenburg) gekürzt

 

Wir Älteren kennen zwar die Idylle „Der siebzigste Geburtstag“ von J. H. Voß und Reuters Gedicht „Ein gräflicher Geburtstag“, meist wohl aus unseren Schullesebüchern. Wir haben in Schröders Sammlung „Ut Meckelbörger Buerhüser“ gelesen, dass einmal ein Bauernknecht anlässlich seines Geburtstages für die anderen Knechte des Dorfes „einen utgäben“ musste. Daraus aber können wir nur entnehmen, dass früher der Geburtstag in den so genannten „besseren Kreisen“ beachtet wurde, vorwiegend wohl, wenn es sich um einen besonderen, z.B. den 70. handelte, dass auf den Gütern die Leibeigenen zur Feier des Geburtstages ihrer Gutsherrschaft „Hurrah“ rufen durften und dass man sich in bäuerlichen Kreisen auch gelegentlich und mehr zufällig des Geburtstages eines Mitmenschen erinnerte.

Was aber wissen wir eigentlich über die Feier des Geburtstages auf dem flachen Lande in Mecklenburg? Kaum etwas! Wossidlo, dem fast keine Äußerung des Lebens unseres Volkes entging, widmete nicht die kleinste Arbeit der Feier des Geburtstages. Die große landeskundliche Bibliographie von Heeß enthält nicht einen Titel über die Geburtstagsfeier. Allein das „Mecklenburgische Wörterbuch“ bringt unter dem Stichwort „Gebuurtsdag“ einige Angaben.

 

Das aber ist gar nicht so verwunderlich; denn ein Blick in das „Wörterbuch der deutschen Volkskunde“ und in das „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ lehrt uns, dass - sofern man das aus den allgemein dürftigen Belegen ersehen kann - bis etwa zur letzten Jahrhundertwende der Feier des Geburtstages auf dem Lande in ganz Deutschland keine große Bedeutung zukam. Sie war weniger üblich als der Städter annimmt (im Winter mehr als im Sommer, bei schlechtem Wetter eher als bei gutem). Wie wurde nun früher und wie wird heute der Geburtstag begangen in Mecklenburg, besonders im ehemals Mittel- und Kleinbäuerlichen Südwesten des Landes Mecklenburg?

 

Mantzel vermerkte in seinen „Bützowschen Ruhestunden“ (1761-67), dass in Mecklenburg viele Menschen ihr Geburtsjahr noch viel weniger kennen als ihren Geburtstag. Das könnte verständlich sein, denn früher war der Tag der Geburt, ja, die Geburtsstunde wichtig für die künftige Entwicklung des Kindes. Mancherlei glaubte man dabei beachten zu müssen, während das Jahr der Geburt nur dann von Bedeutung war, wenn es sich um ein Schaltjahr handelte.

Zu erwägen wäre auch, ob nicht mitunter das Geburtsdatum bewusst verschwiegen wurde; denn wie Kriege 1931 in der Zeitschrift „Die mecklenburgische Heimat“ aus dem westlichen Teil der Griesen Gegend berichtete, war man dort in einigen der weltabgelegenen Dörfer noch Anfang des Jahrhunderts der Meinung, dass Hexen Macht über andere Menschen gewönnen, wenn sie deren Geburtstag wüssten. Bei der früher großen Verbreitung abergläubischer Meinungen könnte man wohl annehmen, dass hin und wieder die Ursache für das „Nichtkennen“ des Geburtsdatums in diesem Glauben zu sehen ist.

Eher aber und viel allgemeiner ist der Grund dafür wohl darin zu finden, dass in früheren Jahrhunderten - und vielfach bis in die jüngste Vergangenheit hinein - der jährlichen Wiederkehr des Geburtstages keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Wahrscheinlich geriet deshalb das Geburtsdatum mitunter einfach in Vergessenheit.

In den Dörfern der Griesen Gegend wurde der Geburtstag bis etwa 1914 - in vielen Fällen darüber hinaus - im allgemeinen nicht mit Geschenken, Lichterteller und Kuchen gefeiert, wie es in den Städten schon vielfach üblich war:

„Se harrn kein Tiet, nein, sie kannten es einfach nicht“ (Grebs, Eldena, Niendorf b. W., ähnliche Belege aus vielen anderen Orten);

 „Fiere as hüt, dat gew ‚t früher nich“ (Heiddorf);

„Gebuurtsdag wör vör 1914 noch nich fiert“ (Eldena);

Dat hett sick nu ierst (nach 1945) so’n bäten inläwt“ (Grebs).

Besonders während der Ernte wurde der Geburtstag im Drange der Arbeit manchmal vergessen. Es ist deshalb wohl zu verstehen, dass vor 1945 vielfach Kinder ihre Mütter erst auf ihren Geburtstag aufmerksam machen mussten. Nur in den Städten benachbarter Dörfer, in nicht aus Südmecklenburg stammenden Familien oder in solchen, die verwandtschaftliche Beziehungen zu Einwohnern der Städte der Gegend oder z. B. Hamburgs hatten, kamen Geburtstagsfeiern im eigentlichen Sinne vereinzelt schon vor 1914 (Eldena) oder vor 1945 (Groß Laasch, Weselsdorf, Niendorf b. W., Raddenfort) vor. Hieraus ist es auch zu verstehen, dass in manchen Fällen Handwerker- und Häuslerfamilien schon vor 1914, bzw. in den Dreißiger und Vierziger Jahren Geburtstage festlicher begingen als Familien wohlhabender Bauern. Auch weiter herumgekommene Binnenschiffer haben in einzelnen Fällen zur Verbreitung der Geburtstagsfeier beigetragen (Wie denn auch in einem Eldedorf ein Binnenschiffer z. B, für die Verweltlichung der Konfirmationsfeier „verantwortlich“ gemacht wurde.).

Ganz allgemein war es in den Dörfern der Griesen Gegend aber üblich - sicher vor 1914, dass es zum Geburtstag ein besonderes Gericht gab, wie auch in anderen Gegenden Deutschlands die Geburtstagskinder ihre Lieblingsspeise erhielten. Die Kinder (allgemein), schulpflichtige oder arbeitsfähige Kinder (Gorlosen, Raddenfort), alle, die Geburtstag hatten (Alt Krenzlin, Krenzliner Hütte) erhielten zum Geburtstag Pannkauken (Kartoffelpuffer).

Vörhier (vor 1918} gew dat blos Pannkauken, wenn ein Gebuurtsdag harr, un denn wier’t gaud; wierer wör sick dor nicks ut makt (Groß Laasch);

...denn würd Pannnkauken backt to’n Meddag (Bresegard b. Picher);

Gebuurtsdag wier’n Pannkaukendag (Grebs).

Heute ist man davon abgekommen. - In den dreißiger und vierziger Jahren gab es dann vielfach schon - aber durchaus nicht überall! - zur Feier des Geburtstages ein besseres Essen, das manchmal sogar dem eines Hochzeitsessens entsprach (z.B. Häuslerfamilie bei in Weselsdorf b. L.). Bemerkenswert ist, dass ein einmal gerade dazukommender Bauernsohn aus Niendorf b. W., der solche Hervorhebung des Geburtstages nicht kannte, fragte: „Hefft ji ‚ne Hochtiet?“

Erhielten die Kinder Ende des vorigen Jahrhunderts selbst zu Weihnachten kaum Geschenke im heutigen Sinne, so erst recht nicht zum Geburtstag. Hin und wieder kam es vor 1918 vor, dass ein Kind zum Geburtstag eine Tüte Bonbon bekam (z. B. Bauerntochter in Grebs). Größere Geschenke kamen im Allgemeinen aber erst nach 1918 auf (Groß Laasch). Vorher waren Geschenke in bescheidenem Umfang nur üblich in nichtheimischen Familien oder in solchen, die verwandtschaftliche Beziehungen zu den Städten der Umgebung hatten. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass es erst zwischen 1918 und 1945 üblich wurde, Kindern zu ihren Geburtstagen Geschenke zu machen. Art und Wert der Geschenke richteten sich mehr und mehr nach dem Stand und dem Einkommen der Eltern. Kinder schenkten ihren Eltern zu dieser Zeit aber meist noch nichts, wie das auch noch nach 1945 vielfach der Fall war und heute noch ist.

Von allen Höhepunkten oder Einschnitten des menschlichen Lebens darstellenden Feiern war - abgesehen von der Konfirmation - die Geburtstagsfeier am wenigsten mit abergläubischen Vorstellungen verbunden; erklärlich aus dem geringen Alter dieser Feier. Nur dem Lichterteller kam eine abergläubische Bedeutung zu, ähnlich wie den bei der Konfirmation verwendeten Kerzen, aber durchaus nicht überall. Der Lichterteller wurde auf dem Lande nach 1918 bis 1930 üblicher, vereinzelt kam er vordem schon in nichtheimischen Familien vor (Eldena). Er bestand aus einer großen Kerze für 10 Jahre und kleineren für die weiteren Jahre oder 1 Lebenslicht und der Zahl der Lebensjahre entsprechenden kleineren. Meist erhielten Ihn Kinder auf den Tisch gestellt, mitunter aber auch Erwachsene (Ludwigslust, Weselsdorf, Niendorf). Allgemein verbreitet war und ist der Lichterteller allerdings nicht, wenn er heute auch bekannter ist als vor 1945.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Aufstellen des Lichtertellers in Südmecklenburg als Lustrations- (Reinigungs-) sitte aufgefasst werden muss, wie das allgemein hier und da erklärt wurde. Man sah aber in dem Lebenslicht ein Symbol des Lebens des Geburtstagskindes. Das Verlöschen des Lebenslichtes galt als böses Vorzeichen; man hütete es deshalb vor Zugluft (auch ein Flackern der Flamme war schon ungünstig); es durfte nicht ausgeblasen werden, man musste es mit angefeuchteten Fingern löschen (z.B. Eldena, Ludwigslust). In jüngerer Zeit weist man aber höchstens noch scherzhaft auf diesen „Häuhnergloben“ hin, wenn auch wohl der eine oder andere alte Mensch das Brennen des Lebenslichtes noch heimlich beobachtet und stillschweigend die ihm überlieferten Schlussfolgerungen daraus zieht.

Heute besteht die Feier des gewöhnlichen Geburtstages meist in einem besseren Essen, Kaffee und Kuchen. Die den Kindern gemachten Geschenke widersprechen nach Art und Wert - wie andernorts auch - häufig allen Erkenntnissen der Pädagogik. Zu besonderen Geburtstagen bringt wohl auch die Blaskapelle des Dorfes dem Geburtstagskind ein Ständchen (Wöbbelin). Dazu überreichen in besonderen Fällen die Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen Präsentkörbe (allgemein). In Betrieben und staatlichen und kommunalen Dienststellen überreichen die Kollegen Blumensträuße und kleine Geschenke. Um 1960 herum war der Zeitpunkt des Geburtstages aber noch von Bedeutung, zumindest in Kreisen der werktätigen Bauern: De wöck, de fiern hüt je grotorrig Gebuurtsdag; dat is aewer grar so, as de Gebuurtsdag föllt (Alt Krenzlin). Dennoch bildete sich um diese Zeit die Sitte heraus, innerhalb einer LPG den Geburtstag jeden Mitgliedes zu feiern mit gemeinsamen Essen und Trinken (Alt Krenzlin, Kaliß). Das ist besonders erfreulich. Vielfach erklärte man nämlich die Verkümmerung der Geburtstagsfeier mit dem Fehlen oder Schwinden des Familiensinnes. Daran hat es allerdings in Südmecklenburg nie gemangelt. Auch Arbeits- und Interessengemeinschaften hielten zusammen (z.B. beim Braken und beim Hausbau, in den „Sparkassen“ und Kuhkassen, in den Radfahrer- und Gesangsvereinen). Der individuellsten Feier des menschlichen Lebens aber, der Feier des Geburtstages, kam vor 1945/1960 höchstens die einer Familienfeier zu, wenn auch ältere Menschen zu ihren Geburtstagen um 1925 Freunde zu einem Kartenspiel (Solo) einluden.

 

Hans Heinrich Klatt

(gekürzt von Heiko Klatt)

 

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